16 - Voris andernorts

Dokumentation

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Vorarlberger andernorts in Brasilien bzw. Südamerika


Bereits im 19. Jahrhundert gab es vereinzelte Auswanderer nach Südamerika. Eine Sonderform von "Auswanderung" sind die Einsätze der Missionspriester oder der Gaißauer Missionsschwestern sowie ausgedehnten Reisen. (136) Bischof Erwin Kräutler in Amazonien steht hier in einer langen Tradition von Missionspriestern, vielleicht beginnend im 18. Jahrhundert mit dem Bregenzer Jesuiten und Amazonasmissionar Rochus Hundertpfund, über den Jesuiten Johann Peter Fink hin zu Erwin Kräutlers Onkel und Vorgänger als Bischof in Amazonien, Bischof Erich Kräutler. (137)

1857 sollen zwei Vorarlberger Familien – Tschofen aus Andelsbuch und Wiederin – mit der ersten großen Gruppe von Tirolern nach Pozuzo, Peru, ausgewandert sein. (138) Um die Jahrhundertwende gingen vermehrt Vorarlberger – es waren überwiegend ledige Männer – nach Südamerika. So fuhr Alfred Schott aus Hard 1903 nach Buenos Aires, (139) Franz Hosp aus Altenstadt 1909. (140) Der Lustenauer Fridolin Hämmerle ging 1895 über Vermittlung des Klosters Maria Hilf in Altstätten nach Kolumbien, wo er später ein bekannter Straßenbauer wurde. (141) Ferdinand Köchle aus Giesingen fuhr 1907 nach Kuba. Der Höchster Adolf Schobel, Jahrgang 1866, war Buchhalter und wanderte 1887 nach Brasilien aus, wo er in São Paulo, Porto Allegre und später in Montevideo (Uruguay) sich als Kellner und Maler durchschlug, bevor er nach Vorarlberg zurückkehrte. (142) August Wehinger aus Dornbirn fuhr 1911 nach Rio de Janeiro, wo er eine Firma zur chemischen Reinigung betrieb. (143)

In den zwanziger und dreißiger Jahren verließen etliche hundert Vorarlberger und auch Vorarlbergerinnen das Land und wanderten überwiegend nach Argentinien oder Brasilien aus. Dabei sind vor allem Einzelwanderer nach Argentinien und dort in die Städte gegangen, wo sie dann nach dem Prinzip der Kettenwanderung Bekannte und Verwandte nachzogen. Familien wanderten überwiegend nach Brasilien aus. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Familie Stoppel aus Rankweil. Der Arzt Dr. Martin Stoppel war in die argentinische Provinz Santa Fé gereist, wohin ihm 1922 seine Gattin Sabine Stoppel mit ihren beiden Kleinkindern folgte. (144)

Auch in der landwirtschaftlichen Kolonie "Carlos Pfannl" in Paraguay finden sich etliche Vorarlberger Auswanderer. Die beiden Brüder Ernst und Johann Porkert, die zuvor beide in den Dornbirner Rüschwerken gearbeitet hatten, wanderten 1934 dorthin aus. Johann Porkert ging 1939 nach Argentinien, wo er Arbeit als Eisendreher fand. (145) Mit den Porkert-Brüdern waren auch Robert Jenny aus Weiler und Ludwig Welti aus Muntlix ausgewandert. (146) Als drei Vorarlberger Tischler 1989 Südamerika bereisten, trafen sie in "Carlos Pfannl" eine betagte Frau Reisch aus Frastanz an, deren Dialekt sie als "altertümlich" empfanden. Frau Reisch hatte bei ihrer Auswanderung eine Gattersäge mitgenommen und in "Carlos Pfannl" aufgestellt, die in den achtziger Jahren immer noch lief. (147)

Johann Meusburger aus Schwarzach verließ 1922 seinen Heimatort und ging auf Arbeitssuche nach Deutschland. In Hamburg konnte er auf einem Schiff anheuern, mit dem er auf große Fahrt ging. In Panama ging er an Land und fiel in ein großes Abenteuer, das ihn als blinden Passagier bis nach New York und dort ins Gefängnis brachte. Er wurde nach Kolumbien abgeschoben, wo er weiterhin ein abenteuerliches Leben führte. (148)

Die Einwanderer nach Brasilien, welche nicht in die Vorarlberger Siedlung bei Itararé kamen, zogen überwiegend in die brasilianischen Südstaaten, etliche allerdings auch weiter nördlich, beispielsweise nach Rio de Janeiro oder in den Bundesstaat Minas Gerais. Dabei waren die Einwanderer in den Südstaaten aus mancherlei Gründen bevorzugt. Einmal gab es eine recht einflußreiche deutschsprachige Subkultur mit entsprechenden ökonomischen und sozialen Vorteilen, zum anderen ein relativ gut verträgliches Klima. Die Siedlung Blumenau in Santa Caterina beispielsweise war 1852 begründet worden und Anfang des 20. Jahrhunderts bereits ein ansehnliches Städtchen. Dorthin wanderte 1914 Otto Huber aus Dornbirn aus. (149) 1927 zogen Ludovica und Fritz Hildinger aus Kennelbach mit ihren Kindern nach Blumenau, wo sie ein Gasthaus betrieben, zusätzlich aber – wie die meisten erfolgreicheren Immigranten – auf vielfältige Weise Geld zu verdienen suchten: Ludovica Hildinger züchtete Hunde, hielt Bienen, legte eine Zitronenpflanzung an und kaufte immer wieder "ein Stückle". (150)

Auch andernorts in Südbrasilien siedelten einzelne Vorarlberger Auswanderer. So berichtet Fritz Preiß von zwei Vorarlberger Familien in der großen Regierungskolonie Cruz Machado, am Iguassu-Fluß im Staate Parana gelegen. Von einer dieser Familien, der Familie Dünser aus Vandans, wissen wir Näheres. (151) Die Familie Dünser wanderte mit drei Kindern 1921 aus, bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatten sie die Auswanderung nach Nordamerika versucht.

Ganz ungünstig trafen es die Familie Bickel aus Nüziders und die Familie Morwitzer aus Höchst, welche im Frühjahr 1929 auswanderten. Sie wurden vom Wanderungsamt in Wien in die Kolonie Mucury im Staate Minas Gerais vermittelt. Diese späte Neugründung lag in der Nähe von Presidente Pena am Fluß Mucury und war ein Fieberloch. (152) Der Familie Bickel, die mit zwölf Kindern ausgewandert war, starben gleich nach der Ankunft drei Buben am Fieber. Noch im Juni übersiedelte die Familie Bickel in die etwa 100 Kilometer entfernte Stadt Theofilio Ottoni, wo es ihr gelang, sich zu etablieren. (153) Länger mußte die Familie Morwitzer in Mucury ausharren. Michael und Anastasia Morwitzer wurden mit ihren Kindern Gerda, Margit und Erich erst 1931 in einer Art Evakuierungsaktion über Vermittlung der österreichischen Gesandtschaft in Rio de Janeiro nach Raoul Soares übersiedelt. (154) Die Nachkommen leben heute in Belo Horizonte.

In den dreißiger Jahren wanderten etliche Vorarlberger Familien nach Dreizehnlinden (Santa Catarina) aus. Diese Siedlung war durch den ehemaligen österreichischen Landwirtschaftsminister Andreas Thaler, einem Tiroler Bauern aus der Gegend von Wörgl, begründet worden. Thaler hatte als Landwirtschaftsminister das Projekt einer Ansiedlung von bis zu 1000 Bauernfamilien seit 1927 betrieben. Eine Zusammenarbeit mit Fritz Preiß, der ja ein großes Auswanderungsprojekt für Arbeitslose in die Wege leiten wollte, scheiterte – allerdings begleitete Pfarrer Josef Meusburger Thaler 1931 bei seiner zweiten Studienreise durch Lateinamerika. (155) Thaler bekam 1933 durch Kanzler Dollfuß die damals außerordentliche Summe von 500.000 Schilling. Dreizehnlinden ist in mancher Hinsicht das Gegenteil der "Colónia Austria" bei Itararé. Das Ziel von Dreizehnlinden war die "Bewahrung" von Sprache, Kultur, "Volkstum" – bis hin zur heutigen brasilianischen Kleinstadt mit Tiroler Ambiente. In der Kolonie bei Itararé gab es kein festgeschriebenes Ziel, und das informelle Ziel war die Maximierung des Nutzens der einzelnen Siedler und Familien. Das ließ sie weniger lang verharren, sondern sie bewegten sich recht schnell hinein nach Brasilien. Zu den Familien aus Vorarlberg in Dreizehnlinden zählen die Familie Felder und Natter aus Mellau (Fidel und Katharina Felder mit zwölf Kindern; Lorenz und Johanna Natter mit sechs Kindern). Die Familie Felder war 1934 ausgewandert, die Familie Natter 1937. Die meisten Kinder dieser Familien verließen in den letzten Jahrzehnten Dreizehnlinden und zogen in die Städte, u.a. nach São Paulo. Etliche Enkelkinder waren in den achtziger und neunziger Jahren zumindest für einige Jahre wieder in Vorarlberg, um hier als "Gastarbeiter" Geld zu verdienen – manche blieben dann hier. (156)

Während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft flohen Hundertausende aus Europa, viele davon nach Südamerika. (157)

Hier ist vor allem die in Altenstadt bei Feldkirch geborene Schriftstellerin Paula Ludwig zu nennen, die über Frankreich und Portugal nach Brasilien fliehen konnte. (158)

Zu den Emigranten zählt auch Ferdinand Nansen, der allerdings schon 1934 vor den Austrofaschisten floh. Nansen, 1893 in Wien geboren, trat gleich nach dem Ersten Weltkrieg als linkssozialistischer und später kommunistischer Agitator in Vorarlberg in Erscheinung. U.a. war er mit Otto Mayer einer der Begründer der Bregenzer Kinderfreunde. 1924 fuhr er mit seiner Lebensgefährtin Maria Gorbach und deren Tochter nach Brasilien, wo er sich zuerst im Urwald, dann als Fabriksarbeiter, Büroangestellter und schließlich als Hauslehrer durchschlug. Sie wechselten nach Argentinien, wo Nansen auf einem Landgut wiederum als Lehrer Beschäftigung fand. In der Krise 1929/30 setzte er sich für Bauern ein, die vertrieben werden sollten, und er verlor seine Stellung. Er ging wieder nach Europa und hier allein über Österreich nach Moskau, er kam auf die Krim als Lehrer und war zu Beginn 1932 wieder in Bregenz, wo er gleich als kommunistischer Agitator den Behörden auffiel. Zur Zeit der Februarkämpfe 1934 soll er in Wien gewesen sein, von wo er über die Schweiz und Spanien wieder nach Brasilien kam. In Rio de Janeiro betrieben er und seine Lebensgefährtin ein kleines Hotel; Österreich besuchte er 1949 noch einmal; 1975 verstarb er in Rio. (159)

Nach 1945 kam es wiederum zu vereinzelten Auswanderungen nach Brasilien, allerdings nicht von prominenten Nationalsozialisten, sondern zumeist von ganz gewöhnlichen jungen Männern, die sich dort eine bessere Zukunft erhofften als im zerstörten Europa. (160)
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