1 - Die Colonia Überblick

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Die "Colónia Áustria" - ein Überblick


In der Nähe des kleinen, im brasilianischen Bundesstaat São Paulo gelegenen Städtchens Itararé bestand von 1921 bis weit in die Nachkriegszeit hinein eine von Vorarlberger Auswanderern begründete landwirtschaftliche Siedlung, die "Colónia Austria".
In Itararé hatte schon einige Zeit Alwin Klocker gelebt, der aus dem vorarlbergischen Dornbirn eingewandert war. Er organisierte mit Hilfe von Fazendeiros, also Gutsbesitzern, welche an der Verwertung ihres Grundbesitzes interessiert waren, freie Überfahrt für die erste Gruppe, indem die Einwanderer als "Kaffeearbeiter" deklariert wurden. Diese Vorarlberger waren weitgehend unbemittelt und kamen zumeist aus industriell-gewerblichen Berufen. Obwohl nur wenige Landwirte waren, verfügten die meisten über landwirtschaftliche Erfahrung, da viele, aufgrund der Zersplitterung des landwirtschaftlichen Besitzes in Vorarlberg, schon vorher einen Acker bestellt oder einen Obstgarten gepflegt hatten. Sie wanderten aus, weil sie die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs blockiert sahen und unter der Perspektivelosigkeit im damaligen Österreich litten – einem Österreich, das nach dem Ersten Weltkrieg einer unsicheren Zukunft entgegenzugehen schien.

Neben den Briefen aus Brasilien bildeten in den zwanziger Jahren vor allem die zahlreichen in Vorarlberg erschienenen Berichte über diese Siedlung eine Informationsquelle für weitere Auswanderer, sodaß wir bis gegen Ende der dreißiger Jahre von einer Kettenwanderung sprechen können. Die meisten blieben nur wenige Jahre in der Kolonie, bevor sie zumeist in die Industriestadt São Paulo abwanderten und dort wieder industriell-gewerbliche Berufe ergriffen. Einige kehrten auch nach Vorarlberg zurück.

Baumwollanbau und Seidenraupenzucht bildeten die ökonomische Basis der Ansiedlung. Gute Jahre wechselten mit Dürreperioden, auch brachte eine epidemisch auftretende Fieberkrankheit Rückschläge. Erst nach einigen Jahren konnte ein landwirtschaftlicher Verein als Grundlage für gemeinschaftliche Aktivitäten etabliert werden, da sich die Siedler anfangs in Konflikte verstrickt hatten.
Während es nie zum Bau einer Kirche kam, konnten eine Schule und später ein Vereinshaus errichtet werden, welche bescheidene kulturelle Zentren bildeten. Der kulturelle Austausch mit der 18 Kilometer entfernten Kleinstadt Itararé blieb auf die notwendigen Kontakte beschränkt.

Die Abwanderung aus der Kolonie bedeutete dann, nach der Überfahrt über den Ozean, einen weiteren Schritt im Prozeß der Immigration: aus der Gemeinschaft der Neuansiedler hinein nach Brasilien. Auch beschleunigten die Zeit der forcierten Brasilianisierung ab den dreißiger Jahren sowie das Scheitern des Deutschnationalismus im Zweiten Weltkrieg die Integration der Einwanderer. Der Mehrzahl der in Brasilien Verbliebenen gelang der Wechsel aus dem hochindustrialisierten Vorarlberg in den industrialisierten Teil der brasilianischen Gesellschaft und auch der Aufstieg in die brasilianische Mittelschicht. Insofern kann hier die Geschichte eines erfolgreichen Ansiedlungsversuchs erzählt werden.
ZU KAPITEL 2
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