12 - Kulturelles Zentrum

Dokumentation

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Kulturelles Zentrum oder kulturelle Schleuse?


Die Siedlung lag draußen auf dem Land, vor der Verbreitung des privaten Automobils zu weit weg vom Städtchen Itararé, als daß die Siedler am dortigen kulturellen Leben hätten teilhaben können. In der Kolonie selbst gab es viele Jahre kein Zentrum, die Höfe standen vereinzelt. Auf "Santa Escolástica" wurde zwar mühevoll gearbeitet, jedoch für gemeinsames Gebet fehlte eine Kapelle oder Kirche.Zwar gab es in Itararé eine katholisch-brasilianische Pfarre mit einem portugiesischen Priester, doch wegen der Entfernung und wohl auch wegen der dort spürbaren Fremdheit konnte die nicht zu einem sozialen oder spirituellen Zentrum werden. Nach Pfarrer Meusburger behagte den Siedlern einerseits diese Art von Gottesdienst nicht, andererseits war die Kirche drei Stunden von der Siedlung entfernt. Meusburger vermutete, daß in den zwei Jahren zwischen der Abreise aus Vorarlberg und seinem Feldgottesdienst Ostern 1923 kaum jemand an einem Gottesdienst teilgenommen habe. Jedenfalls hatte er ein halbes Dutzend Kinder zu taufen. (97) Weil es im Umkreis keine weiteren deutschsprachigen Siedlungen mehr gebe, komme auch die sonst in Südbrasilien ausgeübte "ambulante" Seelsorge nicht in Frage. Voraussetzung für eine eigene Pfarrei sei einerseits eine bedeutende Erweiterung der Kolonie, andererseits die Opferbereitschaft der Kolonisten – denn auch Pfarrer wollten bezahlt sein.

Am ehesten kamen noch die Männer unter die Leute, wenn sie in die Stadt ritten oder fuhren, um einzukaufen. In der Siedlung selber gab es kein Gasthaus – allenfalls in der eine Zeitlang bestehenden "Venda", dem Dorfladen, konnte man sich treffen. Albert Fitz aus Lustenau jedenfalls lernte während seiner Zeit in der Kolonie nur wenige der anderen Vorarlberger Auswanderer kennen. Portugiesisch lernte er nie, denn dazu hätte er in die Stadt müssen, was er vermied. (98)

Überhaupt ging es lange Jahre, bis die Siedler zu einer Gemeinschaft wurden. Pfarrer Meusburger beschreibt die Situation der ersten Jahre: Jeder sitze auf seinem Landlos, habe gerade Kontakt zu seinem Nachbarn oder nicht einmal das, da sich ja viele gleich am Anfang zerstritten hätten. Vor allem sei es nicht so, daß sich die Landsleute in einem fremden Land eng zusammenschlössen, um sich gegenseitig bei dem schweren Anfang zu unterstützen. (99) Auch Preiß findet, die Kolonisten litten sehr unter der Einsamkeit, und vor allem Industriearbeiter müßten sich an die neue Freiheit erst gewöhnen. (100) Und wie der katholische Pfarrer Meusburger beklagt auch der sozialdemokratische Politiker Preiß, daß die deutschsprachigen Auswanderer – im Gegensatz etwa zu den Italienern – den Wert von ökonomischen Zusammenschlüssen beispielsweise in Genossenschaften nicht erkannten, sondern vielmehr versuchten, jeder für sich reich zu werden. (101)

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre scheint es dann doch zur Gründung einer "Associação", eines landwirtschaftlichen Vereins, gekommen zu sein, der 1927 mit der Schule und später dem Vereinshaus zwei gemeinsame Projekte realisierte und der Siedlung einen, wenn auch bescheidenen, Mittelpunkt gab. Das Vereinshaus verfügte über einen Tanzboden, wo immer wieder eine kleine Kapelle aufspielte. (102)
ZU KAPITEL 13
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