14 - Von Voris zu Brasis

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Von Vorarlbergern zu Brasilianern


Die "Colónia Austria" war zwar, in Übereinstimmung mit den Intentionen der brasilianischen Einwanderungspolitik, nie eine ethnisch reine Ansiedlung gewesen, sondern von Anfang an lagen zwischen den von Vorarlbergern besiedelten Landlosen auch solche, die von Brasilianern bebaut wurden. 1931, zehn Jahre nach der Gründung, lebten 25 Familien mit 92 Personen in der Kolonie, ein Jahr später 112 Personen. Davon waren 77 Österreicher, 12 Reichsdeutsche, 13 Brasilianer deutscher Abstammung, fünf Ungarn, drei Schweizer und zwei Italiener. Die Siedler bewirtschafteten insgesamt 779 Hektar Land, wovon 33,5 Hektar mit Baumwolle bepflanzt waren und auf welchen insgesamt 89.500 Maulbeerbäume standen. (114) Die Zahl der in dieser Gegend mit oder ohne Besitztitel lebenden und wirtschaftenden Caboclos weist die Quelle nicht aus; ihre Anwesenheit wird jedoch durch die Erlebnisberichte Alois Schoders bestätigt. (115) Schoder pflegte lieber mit ihnen Umgang als mit den übrigen Siedlern.

Ganz anders Franz Kloser aus Hard, der von 1925 bis in die vierziger Jahre in der "Colónia Austria" lebte, dann als Zimmermann in die Stadt Itararé ging, bevor er und seine Frau Stefanie 1950 nach Hard zurückkehrten, wohin schon zwei ihrer Kinder 1939 – in Erwartung des "nationalen Aufschwungs" – vorausgegangen waren. Ihr Sohn Otto blieb als selbständiger Schlosser und Mechaniker in São Paulo. Franz Kloser jedenfalls weigerte sich all die Jahre überhaupt, portugiesisch zu sprechen, er blieb bei seiner Harder Mundart. (116)

Wenn es auch leicht war, die brasilianische Staatsbürgerschaft zu erlangen, fiel es doch vielen weit schwerer, mit dem Paß auch die Identität zu wechseln. (117) Häufig blieb die Generation der erwachsenen Einwanderer im Herzen Vorarlberger/Österreicher/Deutsche (zumeist in dieser Reihenfolge, die nationalsozialistisch Gesinnten verstanden sich vor allem als Deutsche), die Kinder jedoch gaben ihren Kindern schon oft portugiesische Namen und sprachen, vor allem wenn sie einen lusobrasilianischen Ehepartner hatten, mit ihnen auch portugiesisch. (118)

Der derzeitige Kenntnisstand läßt nur sehr vorsichtige Bemerkungen zum Heiratsverhalten der Kinder und Kindeskinder der Vorarlberger Siedler zu. (119) Zumeist fanden die Kinder der Vorarlberger Einwanderer, die oft noch in Vorarlberg geboren waren und etliche Zeit in der Vorarlberger Kolonie bei Itararé gelebt hatten, ihre Ehepartner in ihrer unmittelbaren Umgebung und unter Angehörigen der ihnen vertrauten Kultur – kurz: sie heirateten häufig untereinander. Erna Paoli heiratete Romedius Bösch, Sofie Bösch heiratete Albert Blum, Erna Adler heiratete Georg Gasser, Cilla Fink den Rudolf Grabher-Meier, Benjamin Fink heiratete Sofie Vogel, Johanna Fink den Karl Heinrich Toccoli, der 1924 aus Dornbirn eingewandert war, Otto Vogel die Adelaide Brüstle und Fritz Hölzelsauer die Bertha Hermann. Doch lassen sich an den Kindern des Josef Fink, der als Witwer 1924 mit sechs Kindern eingewandert war, auch andere Heiratsmuster zeigen. Cilla, Benjamin, Johanna hatten jeweils Einwanderer aus Vorarlberg geheiratet. Stefanie, genannt Fanny, heiratete einen ehemaligen Friseur und späteren Farmer bei Itararé, dessen Namen nicht überliefert ist. Franz heiratete Gertrudes Lorenzo, die Lehrerin in der Kolonieschule, keine Vorarlbergerin. Valeria heiratete einen namentlich nicht bekannten Brasilianer. Eduard Grabher-Meier heiratete Katharina Bruckmüller, deren Familie aus Mauthausen/Oberösterreich zugewandert war. Urban Grabher-Meier heiratete Paula Prester, die in São Paulo geboren und brasilianische Staatsbürgerin war, vermutlich deutscher Abstammung, während der Jüngste, Hans bzw. João Grabher-Meier, mit Paula Prester vielleicht deren Schwester geheiratet hat. In der nächsten Generation gibt es immer noch auffällig viele Ehen mit Partnern, die einen deutschen Namen tragen. So heiratete Rosa, die Tochter des Albert Blum und der Sofie Bösch, einen Peter Ludwig, der Teilhaber an Bar und Tankstelle des Rudolf Blum und nebenbei Viehzüchter war. Helene, Tochter der aus Dornbirn eingewanderten Rosa Blum-Hees, hieß verehelicht Beck. Auch die beiden Kinder von Eduard Hollenstein, der 1925 von Lustenau eingewandert war, heirateten Partner mit deutsch-brasilianischen Namen: Franz eine Ilse Peter, deren Familie aus dem Rheinland zugezogen war; Rosina den Metzgermeister Humberto Volpe.

Selten waren in der ersten und zweiten Generation Ehen mit "einheimischen" Brasilianern und Brasilianerinnen bzw. mit Angehörigen anderer ethnischer Herkunft. Alwin Klocker konnte als weißer und zudem verhältnismäßig gebildeter Einwanderer – kein Landarbeiter! – mit Adelaide Nascimento eine Angehörige des kleinstädtischen Bürgertums heiraten. Eine Tochter des Ferdinand Saler aus Bregenz dürfte einen einheimischen Landbewohner, einen sogenannten Caboclo, geheiratet haben.
ZU KAPITEL 15
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