6 - Organisation der Auswanderung

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Die Organisation der Auswanderung 1921


Die Einwanderer aus Vorarlberg wurden in Itararé von einem Landsmann empfangen, von Alwin Klocker aus Dornbirn.
Klocker, aus einer katholischen Dornbirner Lehrerfamilie stammend, war 1911 im Alter von 19 Jahren knapp vor der Matura an der Dornbirner Realschule gemeinsam mit einem gewissen Johann Huber aus Dornbirn, von dem wir weiter nichts wissen, zu seinem älteren Bruder Adolf Klocker nach Brasilien gegangen. Adolf Klocker starb schon 1919. Alwin, der sich den Titel "Ingenieur" zulegte, ließ sich 1917 als Landvermesser in Itararé nieder, wofür ihm immerhin seine Geometriekenntnisse nützlich waren. Er heiratete Adelaide Nascimento, die Tochter eines Hoteliers, und damit in die Gesellschaft von Itararé ein. Sie hatten insgesamt elf Kinder, von denen zwei früh starben.

Alwin Klocker starb 1957; seine Witwe Adelaide lebt noch in Itararé, ihre vielköpfige Familie in Itararé und andernorts in Südbrasilien. (17)

Die Nachricht von Klockers erfolgreichen Niederlassung in Itararé erreichte auf unbekannten Wegen den Eisenbahner Josef Bont aus Bludenz, der im November 1920 nach Itararé fuhr in der Absicht, sich dort anzusiedeln, nach kurzer Zeit jedoch nach Bludenz zurückkehrte. Er scheint freilich nicht schlecht über die Möglichkeiten dort gesprochen zu haben. Jedenfalls erfuhr Dr. Rudolf Grabher aus Lustenau Näheres über die Verhältnisse "dort drinnen", wie man in Vorarlberg Amerika im allgemeinen zu nennen pflegte. Grabher wiederum soll Klocker gekannt haben, ob noch aus seiner Schulzeit, wie die Behörden vermuteten, muß dahingestellt bleiben, denn Grabher war zehn Jahre älter und schloß bereits seine juridischen Studien ab, als Klocker noch ins Gymnasium ging. Jedenfalls wandte sich Grabher an Klocker und wollte wissen, wie es um die Chancen einer Ansiedlung einer größeren Auswanderergruppe in der Gegend von Itararé bestellt sei. (18)

Damals gab es auf Grund der bedrückenden wirtschaftlichen Lage nach dem verlorenen Weltkrieg ein großes öffentliches Interesse an Auswanderungsprojekten. (19)

Am 23. Jänner 1921 fragte Grabher bei der "Österreichischen Auskunftstelle für Auswanderer" in Wien, der Vorgängerin des Wanderungsamtes, wegen der notwendigen Formalitäten und wegen freier Bahnfahrt bis zu einem deutschen Hafen an, wobei er behauptete, bereits Zusagen zu haben für freie Überfahrt bis nach Itararé und für sofort mit Pflug bebaubaren, d.h. gerodeten Boden im Ausmaß von 10 Alqueiras (paulistas), d.s. knapp 25 Hektar, zu 1000 Milreis. Es seien über 40 Familien, die sich für dieses Projekt interessierten. (20) In einem weiteren Schreiben an die Auskunftstelle vom 18. April 1921 ersuchte er um Unterstützung zur Erreichung der freien Überfahrt entweder durch die brasilianische Bundesregierung oder durch die Regierung des Staates São Paulo; die Auswanderergruppe, welche bereits seit zwei Jahren bestehe, sei sogar bereit, als Kaffeearbeiter nach São Paulo zu fahren, wenn nur dadurch die Freifahrt gesichert werden könne. Das wiederum ließ bei der Auskunftstelle für Auswanderer die Alarmglocken schrillen, war doch die Arbeit im Kaffee als Sklavenarbeit bekannt. (21)

Bald darauf dürfte bei Grabher der am 28. März 1921 verfaßte Brief Alwin Klockers eingelangt sein, in welchem der ihm seine Lösung des Transportproblems vorstellte. Er habe veranlaßt, daß bei einer staatlichen Zählung für den Bezirk Itararé mit 80.000 Kaffeebäumen weit mehr als die tatsächlichen 20.000 angegeben worden waren. Damit habe er die Grundlage geschaffen, um die Auswanderungswilligen als "fingierte Kaffeekolonisten frei rüber kommen zu lassen". (22)

Auch darüber hinaus hatte Klocker konkrete Vorstellungen: Die Familien sollten ihre Landparzelle auf Abzahlung übernehmen. Wichtiger sei jedoch, daß sie über ausreichend Geld zum Bau von Häusern und für das Betriebskapital bis zur ersten Ernte verfügten: Er schätzte die Kosten dafür pro Familie nochmals auf 1000 Milreis. Das beste wäre, die Auswanderer würden sich zu einem "Syndicat" zusammenschließen und von einer internationalen Bank finanziert werden — er dachte da an den Benediktinerorden oder an das Bankhaus Drexel & Morgan, vielleicht weil das Finanzhaus Drexel auf Franz Martin Drexel, einen Amerikaauswanderer aus Vorarlberg, zurückgeht. (23) Keinesfalls sollten gleich ein paar Dutzend Familien kommen, sondern nur Grabher allein, um die nötigen Vorarbeiten einzuleiten, wie Landlose zu vermessen und Häuser bauen zu lassen. Wenn kein Finanzier aufzutreiben wäre, dann könnte Grabher auch mit wenig oder keinem Geld und mit sechs bis zehn Familien im September oder Oktober anreisen, denn für wenige könne er, Klocker, Arbeit und Unterkunft besorgen. Später dann möge Grabher die anderen Familien nachkommen lassen. Insgesamt habe er damit "nur Eure vielen Fragen beantwortet und immer wieder vor einem unvorbereiteten Auf- und Davonwandern gewarnt".

Allerdings verwahrte er sich auch gegen die seiner Meinung nach unqualifizierte Kritik am Projekt durch Alois Schoder, den Auswanderungsberater bei der Vorarlberger Landesregierung, in welchem er einen Agenten einer Kolonisationsgesellschaft vermutete. Schoder war vor allem gegen Itararé wegen des dortigen trockenen Klimas. Er plädierte für eine Ansiedlung weiter südlich. (24)

Die "Österreichischen Auskunftstelle für Auswanderer" trug noch in letzter Minute Bedenken gegen eine Freifahrt auf Kosten des Kaffeestaates São Paulo an die Vorarlberger Landesregierung heran und empfahl Freifahrten auf Kosten des Bundesstaates Brasilien. In Vorarlberg selbst protestierte die Industriellenvereinigung gegen eine vermutete massenhafte Abwanderung von Textilarbeitern. (25) Dennoch stellte sich die Landesregierung nach gründlicher Überprüfung der Person des Dr. Grabher und der ganzen Auswanderungsaktion positiv zu diesem Unterfangen, ohne allerdings mehr als ideelle Unterstützung zu gewähren.

Klocker hatte mit Hilfe einiger Landbesitzer aus Itararé und unter Einschaltung des staatlichen Arbeitsamtes von São Paulo freie Überfahrt für Kaffeearbeiter erreicht. Denn das Kaffeegeschäft boomt und Arbeitkräfte wurden dringend benötigt. (26) Die Gutsbesitzer waren Manoel Ignácio do Canto e Silva, José de Mello, Cesar Sobrinho, Luíz Merege und Dr. Herculano Pimentel, der Eigner der Fazenda da Corredeira. (27) Vor allem für letzteren war diese Kolonie eine Möglichkeit, ungenutzten Landbesitz in Bargeld zu verwandeln.
ZU KAPITEL 7
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